Wir waren letztes Wochenende mal wieder in Halberstadt. Da wir lange nicht dort waren, freuten wir uns natürlich unsere Eltern wieder zu sehen. Die Kinder freuten sich auch auf Oma und Opa.

Die Fahrt verlief relativ ereignislos und ohne weitere Zwischenfälle. Das erste jedoch, was wir in Halberstadt an einer längeren Rotphase einer Ampel sahen, war diese Dame hier:

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Falls Ihr es nicht so gut lesen könnt hier noch mal der genaue Wortlaut auf dem Schild (ohne grammatikalische oder rechtschreibliche Richtigstellung):

„Ich habe Angst um unsere Töchter.
Ich habe Angst vor so vielen Männern,
die ohne Frauen hier um Asyl bitten.
Ich habe Angst vor ihrem Glauben
und Kultur“

Ich weiß nicht, wie oft wir die Zeilen in der kurzen Zeit gelesen haben, fassungslos, ungläubig, dass es sowas „tatsächlich“ gibt. Eine Frau gesetzten Alters, die solche Ängste treibt und die das dann auch noch so plakativ in Szene setzt. Man fragt sich direkt, woher kommen solche Ängste? Sind die überhaupt rational? Oder bilden sich die Leute auf Grund von Unwissenheit Dinge ein, die so überhaupt nicht existieren? Ich hätte der Frau gern diesen Artikel hier zum lesen mitgegeben, aber zu der Zeit kannte ich den auch noch nicht.

Das ist ja auch echt klischeehaft, dass immer darüber hergezogen wird, dass es immer nur junge Männer sind, die hier nach Deutschland kommen. Der Grund dafür liegt ja eigentlich klar auf der Hand: wenn man aus einem Land flieht, mit der Absicht später seine Familie in Sicherheit zu bringen, schickt man natürlich diejenigen, die die höchste Wahrscheinlichkeit haben diesen lebensgefährlichen Weg zu überleben. Und das sind nun mal nicht Kinder und Frauen, oder gar ältere Leute. Ich meine, warum werden beim Militär junge Männer rekrutiert? Ja, neuerdings auch Frauen, ich weiß und die Debatte mache ich hier erst gar nicht auf. Aber es ist doch klar, wer am ehesten in Sicherheit ankommt um dann andere über einen sicheren Weg nachzuholen.

Aber soweit denken die meisten Leute nicht. Für diese Leute sind es immer „die Ausländer“. Und diese Ressentiments sind gar nicht soweit weg, wie wir in Diskussionen in der Familie erleben mussten. Nicht ganz so plump, aber doch immer im Hintergrund mitschwingend.

Ich kann auch nicht wirklich sagen, woran das liegt, aber es kommt mir meist so vor, als wären da immer wieder dieselben Stammtisch Dialoge geführt worden und man hat sich damit eingeschworen auf den gemeinsamen Feind. Jemand der anders ist, andere Gewohnheiten hat, kann sich hier nicht benehmen und läuft mordend und vergewaltigend durch die deutschen Lande. Ja nee, is klar – wie man so schön im Ruhrpott sagt. Fakt ist, dass es z.B. in Berlin ein Deutscher war, der ein Flüchtlingskind ermordet hat.

Ich kann ja verstehen, dass man einer größeren Gruppe junger Männer eher verhalten gegenüber steht, dabei ist es aus meiner Erfahrung völlig wurscht, wie die dann aussehen oder wo sie herkommen. Wir haben früher auch immer einen Bogen um Gruppen gemacht, die zusammen rumstanden und Bier getrunken haben, und die waren nicht geflüchtet sondern kahl rasiert und dumm. Denn sie riefen schon vor Jahren „Ausländer raus“, als es noch kaum welche im Halberstädter Raum gab. Und bei ihren Gewaltexzessen machten sie im übrigen keinen Unterschied in der Hautfarbe. Man musste nur lang genug in ihre Richtung schauen und sie wurden aggressiv. Wenn man das heute mit Jugendlichen oder jungen Männern macht, die Migrationshintergrund haben, dann passiert das Gleiche, nur dass jetzt alle schreien: Die Muslime sind so aggressiv!

Mir geht das gehörig auf die Nerven. Aber es ist meiner Meinung nach wirklich ein ostdeutsches Phänomen. Dort wird ja auch heute noch rumgejammert, dass es im Westen ja viel mehr Geld gäbe und dass es da ja viel besser sei. Das die Lebenskosten dort aber auch viel höher sind als im Osten wird dann immer gern unter den Teppich gekehrt.  Und dieses ganze „Ausländer raus“ Gezeter, bei einem unterdurchschnittlichem Ausländeranteil im Osten ist auch komplett lächerlich. Statt immer nur zu jammern, sollte man doch besser mal drüber nachdenken, wie man helfen kann. Das gibt doch viel mehr positive Energie als das ständige Rumnörgeln und Jammern. Und wie cool es sich anfühlt mal was Gutes zu tun, kann ja jeder selbst erfahren, indem er mal bewusst jemandem hilft. Und das meine ich jetzt nicht mal auf die Flüchtlinge bezogen, sondern ganz allgemein.
Einfach mal, wenn es die Situation ergibt, jemandem spontan helfen, der damit  gar nicht rechnet. Und man muss auch gar nicht auf die „passende Gelegenheit“ warten. Das geht nämlich schneller als man denkt. Als Beispiel, beim Autofahren mal auf seine Vorfahrt verzichten, damit sich jemand einreihen kann, der vielleicht schon eine Viertelstunde versucht in den fließenden Verkehr zu kommen. Wenn man sowas bewusst macht, dann bekommt das eine komplett neue Bedeutung.
Oder jemandem die Tür aufhalten, auch wenn man die Person nur im Augenwinkel hinter einem gesehen hat und vielleicht mal 2 Sekunden warten muss, bis diese zu einem aufgeschlossen hat.

Es sind so Kleinigkeiten, die das Leben besser machen können. Und das spürbar, für alle!

Und sich mit so einem Schild an die Straße zu stellen, gehört definitiv nicht dazu. Das führt eigentlich nur dazu, dass sich alle schlechter fühlen. Die Geflüchteten, und auch die Deutschen, die sich fremdschämen (mich eingeschlossen).

Richtig fassungslos hat mich übrigens dieser Artikel über die Flüchtlingssituation in Slowenien gemacht. Wenn ich mir vorstelle, dass mir meine eigenen Kinder im Arm erfrieren, weil wir unter freiem Himmel schlafen müssen, dann läuft es mir kalt den Rücken runter. Die Menschen brauchen Hilfe und zwar dringend! Und genau das war eigentlich der zweite Auslöser für diesen Post hier.

2 comments on “Schaurige Geschichten aus der Heimat”

  1. Aileen Antworten

    Ich bin ja hier nun direkt an der Quelle und erlebe die endlosen und sinnlosen Diskussionen in der halberstädter Facebook Gruppe jeden Tag aufs neue. Fakt ist die Angst ist da und die Worte die man hört immer die selben, als wenn sie die auswendig können. Diese Woche berichtete eine Halberstädterin von ihrer Arbeit in der Flüchtlingshilfe hier in HBS und das es da Kinder gibt die keine Strümpfe haben oder ne Mütze auf dem Kopf und Frauen die ihre Babys in decken wickeln weil sie keine Sachen für sie haben. Mir blutete das Herz, ich kann mich morgens kaum entscheiden was ich meinen Kindern tolles anziehen soll und ein paar Kilometer weiter gibt es so etwas. Vor ein paar Wochen haben wir bereits Kleider gespendet. Aber natürlich immer erst mal das, was man nicht mehr verkaufen kann. Jetzt hatte ich kurzerhand alles vom großen was hier im Haus noch zu finden war, zusammen geholt und dort hin gebracht. Scheiß auf die paar Euro. Das war gleichzeitig eine super Gelegenheit dem große mal zu erklären was es eigentlich heißt nix zu haben. Ich bin jeden Tag damit konfrontiert das diese rassistischen aber auch teilweise ängstlichen Äußerungen getätigt werden und geht man mal durch die Passage, sieht man Tatsache ein paar wenige extrem gut gekleidete Asylbewerber. Aber schaut man mal genauer hin, sieht man noch mehr Familien die ohne teure Sachen an der Bushaltestelle sitzen und ihre kleinen Kinder auf dem Arm halten, sie sehen müde aus und traurig. Ich bin dankbar und froh mit meinen Kindern nicht fliehen zu müssen und hoffe nie in diese Situation zu kommen und würde mir für ganz viele einfach mehr Herz wünschen. Ich kenne das zusammen leben mit anderen Kulturen ja noch sehr gut aus meiner Ausbildung in Braunschweig aber hier ist es einfach nicht „normal“, bzw. wird es nicht so angesehen.

    • Mattes Antworten

      Hallo Aileen,

      da hast Du vollkommen recht. Es ist die „Gewohnheit“, die Ängste abbaut. Hier im Rheinland ist man auch allerlei Kulturmix „gewöhnt“, aus dem Grund sind hier Pegida, Dügida und wie die alle heißen komplett in sich zusammen gefallen.
      Ich finde es super, dass Ihr die Spendenaktion gemacht habt! Wir waren hier in Neuss auch schon Kleidung spenden. Trotzdem bleibt da manchmal ein komisches Gefühl, dass man nicht genug gemacht hat zurück, finde ich und ich kann Dich da vollkommen verstehen. Es ist wirklich schlimm, dass viele einfach nicht zu schätzen wissen, wie gut es uns geht. Ich mache mir das ab und zu bewusst, wenn ich mal unter der warmen Dusche stehe und mir vorstelle, sowas grundsätzliches würde für mich von einem zum anderen Tag nicht mehr verfügbar sein. *gruselig*

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